Die Zeugnissprache in Arbeitszeugnissen

Die Zeugnissprache ist eine spezielle, kodifizierte Ausdrucksweise, die in Arbeitszeugnissen verwendet wird, um Bewertungen von Arbeitnehmern so zu formulieren, dass sie sowohl wohlwollend als auch rechtlich sicher sind. Sie hat sich in der Praxis entwickelt, um einerseits das gesetzliche Gebot des „wohlwollenden“ Arbeitszeugnisses (gemäß § 109 GewO) zu erfüllen und andererseits auch versteckte Botschaften zu senden.

Grundlagen der Zeugnissprache

  • Wohlwollend: Ein Arbeitszeugnis muss dem Arbeitnehmer keine Steine in den Weg legen, sondern dessen berufliche Entwicklung fördern.
  • Wahrheitsgemäß: Es darf nicht falsch oder irreführend sein.
  • Codiert: Bestimmte Formulierungen haben in der Praxis einen standardisierten Bedeutungsgehalt.

Bewertungsskala und Beispiele

In der Zeugnissprache gibt es typische Formulierungen, die bestimmten Schulnoten entsprechen. Nachfolgend eine Übersicht:

Arbeitsleistung

  1. Sehr gut (Note 1):
    • „Er/Sie zeigte stets hervorragende Leistungen.“
    • „Er/Sie erfüllte die Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit.“
  2. Gut (Note 2):
    • „Er/Sie zeigte stets gute Leistungen.“
    • „Er/Sie erfüllte die Aufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit.“
  3. Befriedigend (Note 3):
    • „Er/Sie zeigte durchschnittliche Leistungen.“
    • „Er/Sie erfüllte die Aufgaben zu unserer Zufriedenheit.“
  4. Ausreichend (Note 4):
    • „Er/Sie zeigte insgesamt zufriedenstellende Leistungen.“
    • „Er/Sie erfüllte die Aufgaben im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit.“
  5. Mangelhaft (Note 5):
    • „Er/Sie bemühte sich, den Anforderungen gerecht zu werden.“
    • „Er/Sie zeigte Einsatzbereitschaft im Rahmen seiner/ihrer Möglichkeiten.“

Sozialverhalten

  1. Sehr gut:
    • „Er/Sie war bei Vorgesetzten, Kollegen und Kunden gleichermaßen geschätzt.“
  2. Gut:
    • „Er/Sie war bei Vorgesetzten und Kollegen beliebt.“
  3. Befriedigend:
    • „Er/Sie kam mit Vorgesetzten und Kollegen aus.“
  4. Ausreichend:
    • „Er/Sie bemühte sich, ein gutes Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen zu haben.“
  5. Mangelhaft:
    • „Er/Sie hatte ein vertretbares Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen.“

Abschlussformeln

  • Sehr gut/gut: „Wir bedauern sein/ihr Ausscheiden und danken für die stets hervorragende/gute Zusammenarbeit. Wir wünschen ihm/ihr weiterhin viel Erfolg.“
  • Neutral/Fehlend: Wenn keine Bedauern- oder Dankesformel enthalten ist, deutet dies häufig auf Kritik hin.

Rechtsprechung zur Zeugnissprache

1. Wahrheits- und Wohlwollenspflicht

  • BAG, Urteil vom 18. November 2014 – 9 AZR 584/13
    Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass ein Zeugnis nicht „nur“ wohlwollend sein darf, sondern auch der Wahrheit entsprechen muss. Es darf keine unberechtigten positiven oder negativen Aussagen enthalten.

2. Anspruch auf bestimmte Noten

  • BAG, Urteil vom 14. Oktober 2003 – 9 AZR 12/03
    Arbeitnehmer haben grundsätzlich Anspruch auf ein „befriedigendes“ Zeugnis. Wer eine bessere Bewertung verlangt, trägt die Beweislast.

3. Abschlussformel

  • BAG, Urteil vom 20. Februar 2001 – 9 AZR 44/00
    Die Formulierung der Abschlussformel ist nicht zwingend vorgeschrieben. Das Fehlen einer Danksagung ist zulässig, kann aber als „subtiles Zeichen“ interpretiert werden.

4. Versteckte Kritik und Geheimcodes

  • BAG, Urteil vom 12. August 2008 – 9 AZR 632/07
    Das BAG stellte klar, dass versteckte Kritik oder sogenannte Geheimcodes unzulässig sind, da sie dem Grundsatz des Wohlwollens widersprechen.

Praxisempfehlungen

  • Arbeitnehmer sollten ihr Zeugnis genau auf die kodierte Sprache prüfen.
  • Arbeitgeber sollten sich an standardisierte Formulierungen halten, um Konflikte zu vermeiden.
  • Bei Unsicherheiten können Musterzeugnisse oder juristische Beratung hilfreich sein.

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